Hätte ich eine Parabel für mein emotionales Innenleben, so wäre es ein fürchterlicher Drache, der auf dem Schatz schläft, schnarcht, wacht.
Schleicht ein Mutiger vor die Höhle und erblickt das feine Funkeln von weitem, so räuspert er sich kurz.
Wagt es der Fremde, zum Eindringling zu werden, stellen sich unmerklich die Stacheln auf.
Der Drache riecht die Angst, die Selbstüberschätzung, den Zweifel mit seiner feinen Nase.
Hört jede kleinste Bewegung, als sei es eine Armee.
Doch kommt auch wer zu nahe: Er öffnet seine Augen nicht. Gibt keinen Anlass zur Furcht. Lässt Fremde in dem Glauben, sie seien unbemerkt. Bis zu dem Punkt, wo sie zu tief, zu nah sind. An dem Punkt, wo der Drache weiß, dass es keine Flucht, keine Überlebenschance, kein Zurück gibt. Der Moment, indem sie sich selbst ausliefern – mit einem gewaltigen Ruck reckt er sich in die Höhe der steinernen Halle, lacht schrecklich, mit dunklen, schwarzen, leblosen Augen faucht er gleißendes, gifitges, alles verzehrendes Feuer um sich; vernarbt den Boden, macht alles, was Fleisch und Gefühl war, zu Asche und Staub, entfacht ein tödliches Inferno bis nichts bleibt als das leise Knistern der Flammen und der Gestank versengter Menschlichkeit.
Niemand darf eintreten, niemand sehen, niemand auch nur ein Goldstück entwenden, niemals.
Zu Anfang waren es viele, Mutige, Ungestüme, Glücksritter, Gaukler, Hexen, die ihr Glück versuchten. Doch nicht lang, und die Mutigen und Edlen der Dörfer versiegten im ewigen Feuer. Dann die Banden und Halunken. Zuletzt hier und da ein Abenteurer. Bis die Menschen es aufgaben und eines Tages niemand mehr sein Glück versuchen wollte und der Drache – müde von den Kämpfen – sich wieder legte.
Nun der unangefochtene Herr des Schatzes auf ewig, doch befriedigt war er nicht – im Gegenteil: Jetzt, wo keiner mehr kam, begannen, ihn, seine Sinne zu täuschen. Er roch List, wo nur Kinder waren. Hörte Verrat, wenn es friedliche Mönche waren, die zum Reden kamen, wie es früher oft gewesen war. Sah Schurken in den Schatten. Raubritter in den Steinen. Sein eigenes Ebenbild im schmilzenden Gold, bis der fremde Drache ihn anfauchte und ausbrannte.
Und mit jedem Wahn schmolz der Schatz weiter dahin. Jeder blinden Wut folgte eiskalte Einsicht. Jedem Gebrüll Jahrhunderte Stille.
Erst begannen die Dörfer um die Höhle, ihn zu vergessen. Dann, als die Ältesten am Hofe starben, die Gelehrten. Und irgendwann wurde die Höhle selbst von der Zeit verschlungen. Und der Drache? Eines Nachtes erwachte er aus unruhigem Schlaf mit pfeifenden Nüstern. Er spürte die Enge in der Lunge, sie raubte ihm die Kraft. Seine Glieder schwer wie Berge. Felsen wie Kathedralen versperrten den Eingang und die Luft ward unendlich dick. Kein Ausweg, nicht ein einziger Spalt im Massiv.
Mit flachem Atem schleppte er sich zurück zum Schatz, diesem, den er Jahrtausende gehütet hatte. Der ihm alles gewesen war. Und schlussendlich alles genommen hatte. Es war nicht viel übrig: Nur eine große, fest gewordene Lache geschmolzenes Gold, wo einst ein Berg feinste in Erz geformte Leidenschaft gewesen war.
Im schimmernden Schein der Lache, gleich einem Spiegel, sah er, was aus ihm geworden war. Über und über war er selbst mit schwerem Gold bedeckt; es steckte in seinen Schuppen, lag auf seinem Rücken, den Flügeln, drückte ihn herab, bis sein Kopf schwach auf der glänzenden Fläche ruhte. Eine Träne, groß wie ein Apfel, rollte herab.
Er selbst war der Schatz geworden und im letzten Atemzug leuchtete es ihm ein:
Niemand hatte es vermocht, ihn vor sich selbst zu schützen.